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Positionierung des Berlinweiten Landes Arbeitskreises zur Stärkung queersensibler, genderreflektierter, intersektionaler und feministischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (LAK QGIF):
Das Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege muss diversitätsorientiert und geschlechterreflektiert bleiben! Wir fordern einen öffentlichen und transparenten Diskussionsprozess zur Überarbeitung!
Auf der Seite der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie heißt es:
„Das “Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege” ist die Grundlage der pädagogischen Arbeit aller Berliner Kitas. Es bietet einen verbindlichen, wissenschaftlich begründeten und fachlich erprobten Orientierungsrahmen für die Erzieherinnen und Erzieher.“[1]
Das letzte Berliner Bildungsprogramm (BBP) ist aus dem Jahr 2014 und in diesem Jahr soll es unter der CDU-geführten Senatsverwaltung eine überarbeitete Neufassung geben. Für die „fachliche Erprobung“ und die Praxisrelevanz werden normalerweise verschiedene Fachstellen mit einschlägiger Expertise und Organisationen aus der Praxis in die Überarbeitung eingebunden. Doch so nicht im Jahr 2025. Das Beteiligungsverfahren zur Erarbeitung des neuen BBP endet – für viele Akteur*innen der frühkindlichen Bildungslandschaft überraschend – bereits im Juni. Das Feedbackverfahren ist maximal intransparent und exklusiv gestaltet und darauf bedacht, ggf. kritische fachliche Stimmen aus der diskriminierungskritischen Pädagogik und Bildungsarbeit außen vor zu lassen.
Ein Blick in den Entwurf, der mittlerweile in Fachkreisen im Umlauf ist, macht auch schnell klar warum: jegliche Bezüge zu z.B. Antidiskriminierungspädagogik, geschlechterreflektierter oder rassismuskritischer Pädagogik fehlen – trotz vorangeschrittener pädagogischer Standards und fachlichen Diskursen. An vielen Stellen fällt das neue BBP dabei sogar hinter den Stand der letzten Version von 2014 zurück, die wenigstens (wenn auch unzureichend) noch auf einige spezifische Vielfaltsdimensionen und daraus resultierenden Bedarfen von marginalisierten Kindern einging.
Gesellschaftliche Machtverhältnisse in Bezug auf beispielsweise Rassismuserfahrungen, Geschlecht oder soziale Herkunft werden nicht (mehr) erwähnt, obwohl sie Einfluss auf das Bildungserleben und die Teilhabe von Kindern haben. Seit 2021 gibt es das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), dass im §9.3 explizit fordert, die „unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen, Jungen sowie transidenten, nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern“. Trotz dieser gesetzlichen Vorgabe und steigender Gewalttaten gegenüber queeren Menschen in Berlin, wird geschlechterreflektierte Pädagogik nicht mehr erwähnt sowie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ausgespart.
Der Entwurf des neuen BBP bedient viele Allgemeinplätze, gibt aber so gut wie keine Handlungsanregungen oder Praxishinweise – so werden Themen wie z.B. unterschiedliche Lebenslagen von Kindern zwar angerissen, aber es bleibt Interpretationsraum was das genau bedeutet, Vielfaltsdimensionen werden ausgespart und die Relevanz von Machtverhältnissen werden nicht dargelegt. Es wird die Chance verpasst, Themen die 2014 bereits Erwähnung fanden zu erweitern und zu vertiefen sowie anschlussfähige Themen wie Kinderrechte oder Inklusion mit Bedeutung zu füllen.
Während das alte BBP sich – so wie der Index für Inklusion – einem breiteren Begriff von Inklusion anschließt, der alle psychischen, physischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen, geschlechterbezogenen, religiösen, ethnischen und sprachlichen Unterschiede umfasst (s. S. 18ff) und daraus Ableitungen für die Haltung und Praxis der pädagogischen Fachkräfte herstellt, wird im neuen Entwurf unter Inklusion nur noch psychische und physische Behinderung verstanden. Bezüge zu Kinderwelten und anderen Institutionen, die Inklusion fordern, fehlen vollständig. Kinder mit verschiedenen Behinderungsformen werden wenig mitgedacht, dadurch wird Inklusion vermutlich weniger gefördert (obwohl es eine verbindliche rechtliche Grundlage gibt).
Die Auslassung dieser Themen bedeutet für Fachkräfte, die im Sinne von diskriminierungskritischer Pädagogik arbeiten, dass sie ihre fachliche pädagogische Grundlage verlieren, auf die sie sich bisher beziehen konnten. Fortbildungen können schwieriger in Anspruch genommen werden, da Fortbildungsbedarfe auch durch Ansprüche aus dem BBP begründet werden. Für angehende Erzieher*innen in der Ausbildung bedeutet es, dass diskriminierungskritische Pädagogik in der Ausbildung nicht oder kaum mehr vorkommt und sie ggf. ohne entsprechende Kompetenzen in die pädagogische Arbeit starten.
Diese politische Einflussnahme auf fachliche Diskurse reiht sich in besorgniserregende Entwicklungen der letzten Monate und Jahre in Berlin (und bundesweit) ein – Berliner Träger und Projekte in der Demokratiebildung und queeren Kinder- und Jugendarbeit verlieren reihenweise ihre Förderung, geschlechtergerechte Sprache an Berliner Schulen soll voraussichtlich spätestens zum Schuljahr 2027/28 verboten werden und nun wird die fachliche Verankerung diskriminierungskritischer Pädagogik in der frühkindlichen Bildung gestrichen. Dabei geht es nicht um wissenschaftlich begründete Entscheidungen, denn in Fachkreisen gibt es weitestgehend Konsens über die Wichtigkeit von z.B. geschlechterbewusster Pädagogik. Es handelt sich um politisch und populistisch motivierte Entscheidungen, hinter denen ein Kulturkampf auf Kosten der Kinder und Jugendlichen steht.
Wir fordern die Senatsverwaltung auf, zu einem transparenten Prozess der Beteiligung zurückzukehren und eine fachlich zeitgemäße Überarbeitung des Berliner Bildungsprogramms für Kitas und Kindertagespflege zu gewährleisten, die geschlechtsbezogene und andere Aspekte von Diversität auf dem Stand der Diskussion beinhaltet.
[1] https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungswege/fruehkindliche-bildung/
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Den Entwurf findet ihr hier: https://fragdenstaat.de/dokumente/271492-bbp-entwurf-2025/